Aufrufe
vor 3 Jahren

Handlungskonzept zum nachhaltigen Wirtschaften im LK GR - Langf.

  • Text
  • Langfassung
  • Nachhaltigen
  • Handlungskonzept
  • Landkreises
  • Statistisches
  • Sachsen
  • Regionale
  • Region
  • Unternehmen
  • Regionalen
  • Nachhaltiges
  • Wirtschaften
  • Landkreis
Handlungskonzept zum nachhaltigen Wirtschaften im Landkreis Görlitz - Langfassung

Nachhaltiges

Nachhaltiges Wirtschaften im Landkreis Görlitz wird mittlerweile fast die Hälfte des Investitionsbudgets im Ausland verausgabt, in großen Unternehmen sogar ein deutlich höherer Anteil. Das Auslandsengagement spielt für die Firmen damit eine immer wichtigere Rolle. Für die im Landkreis ansässigen Standorte größerer Unternehmen kommt hinzu, dass hier nur eingeschränkte regionale Entscheidungsbefugnis besteht, was die Austauschbarkeit und damit die Standortkonkurrenz zusätzlich erhöht 77 . Kostenmotive nehmen dabei im Vergleich zu Anfang der Dekade wieder eine steigende Bedeutung innerhalb von Investitionsentscheidungen, was sich vor allem darin widerspiegelt, dass insbesondere einfache Tätigkeiten ins Ausland verlagert werden 78 . Trotz unterdurchschnittlicher Exportquote ist gerade auch der Landkreis Görlitz im Fokus dieser Entwicklung, wie die öffentlichen Diskussionen über die beiden großen, strukturprägenden Industriestandorte von Siemens und Bombardier zeigten. Dabei besteht nach wie vor ein erhebliches Arbeitskostengefälle in der Industrie gegenüber den benachbarten osteuropäischen Ländern. Gerade in der Metall- und Elektroindustrie konnte in den letzten 15 Jahren daher eine rasante Verschiebung der Weltmarktanteile zugunsten asiatischer und osteuropäischer Hersteller beobachtet werden. Mit anderen Worten hat sich der vermeintliche Lohnkostenvorteil Sachsens gegenüber westeuropäischen Ländern abgebaut, da die industrielle Wertschöpfung zunehmend in anderen Teilen der Welt stattfindet. Von dem damit einhergehenden Standortwettbewerb betroffen sind vor allem die größeren, konzernzugehörigen Betriebe, die im innerregionalen Vergleich ein weitaus höheres Verdienstniveau aufweisen. Über Zuliefereffekte wirkt sich dieser Trend aber auf die gesamten regionalen Wertschöpfungsstrukturen aus. 79 Auf der anderen Seite zeichnet sich der Tertiarisierungstrend, der sich zum einem im überdurchschnittlichen Wachstum des Dienstleistungssektors widerspiegelt, auch in der Industrie selbst ab. Dienstleistungen haben in den letzten Jahrzehnten immer weiter an Bedeutung gewonnen. So machen sie heute mehr als 73% der Wertschöpfung in der EU aus 80 . Auch im klassisch produzierenden Gewerbe spielen Dienstleistungen zunehmend eine Rolle. So werden in Industrieunternehmen immer mehr dienstleistende Tätigkeiten ausgeführt, indem neben dem eigentlichen Produkt auch vorund nachgelagerte Dienstleistungen entwickelt werden, die für den Kunden einen höheren Nutzen bringen als die einzelne Leistung. Diese Bündelung von Industrieprodukten und Dienstleistungen wird hybride Wertschöpfung genannt. Eine ausgeprägte Differenzierungsfähigkeit innerhalb der Kernkompetenzen neben Forschung und Entwicklung, Innovationen und Internationalisierung ist so zum entscheidenden Erfolgsfaktor für Unternehmen geworden 81 . Mit anderen Worten geht dieser Trend mit einer zunehmenden Wissensintensivierung einher. Dies wird durch eine damit verbundene Tendenz zu weltweit steigenden Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) sowie einem ansteigenden formellen Bildungs- und Qualifikationsniveau reflektiert. Wie amtliche Daten zeigen, existiert bundesweit ein Trend sowohl zu einem wachsenden Anteil an Wissen in Endprodukten als auch zum Erlangen höherer Bildungsabschlüsse. Allerdings beste- 77 Vgl. KfW (2017). Hierbei ist der Unterschied zwischen Betrieben und Unternehmen relevant. Die größten Arbeitgeber im Landkreis Görlitz (Bombardier, Siemens oder LEAG), gehören zu ersteren, da diese lediglich Betriebsstätten ohne strategische Entscheidungsbefugnisse unterhalten. Große, eigenständige Unternehmen mit 500 und mehr Beschäftigten gibt es dagegen nicht. 78 Vgl. ebd. 79 Vgl. IW Consult (2018) 80 Die Bruttowertschöpfung der Wirtschaftsabschnitte G-S betrug im Jahr 2017 10,08 Bio. EUR. Für die gesamte Volkswirtschaft lag der Wert bei 13,74 Bio. EUR. Vgl. Eurostat. 81 Vgl. IW Consult (2018) 28

Nachhaltiges Wirtschaften im Landkreis Görlitz hen hier eher Schwachstellen der Region, die auch mittel- bis langfristig nur sehr schwierig zu beheben sind, da hier vor allem auch Agglomerationseffekte positiv wirken. So konzentrieren sich sowohl private als auch öffentliche wissensintensive Dienstleistungen mit eher zunehmender Tendenz bundesweit auf Großstädte bzw. innerhalb der Industrie auf Großunternehmen an bestimmten, fast ausschließlich westdeutschen Standorten. Insofern droht der Region eine ungünstige „Sandwichposition“, bei der sie zum einen „zu teuer“ für klassische Produktion ist (z. B. im Vergleich zu mittel- und osteuropäischen Standorten), ihr aber auf der anderen Seite die Standortvoraussetzungen für die Partizipation an bestehenden und neuentstehenden Wachstumsbereichen bei wissensintensiven Leistungen fehlt. Damit kann sich der oben beschriebene Digitalisierungstrend, der auf der einen Seite Chancen für den Landkreis verspricht, im Saldo negativ vor Ort auswirken, wenn sich Wertschöpfung vom Produktionsbereich weiter weg verlagert bzw. über eine weitere Automatisierung gerade in den überdurchschnittlich bezahlenden Großbetrieben Arbeitsplätze verschwinden oder das Know-how im bestehenden Mittelstand angesichts disruptiver Veränderungen entwertet wird. 82 Damit ist es für einen nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg der Region entscheidend, dass der absehbar weiter intensivierte Innovationsdruck trotz der betriebsstrukturellen Defizite vor Ort bewältigt werden kann. So basieren die Innovationsleistungen vor allem auf mittelständischen Firmen. Hieraus resultieren in der Regel strukturelle Besonderheiten, wobei nur geringe kontinuierliche FuE-Aktivitäten bestehen. Stattdessen beruht das Innovationsgeschehen stark auf inkrementellen Prozessen mit notwendigerweise hoher Marktnähe der Entwicklungsleistungen. Defizite gehen hierbei vor allem im Finanzierungs- sowie im organisatorisch-personellen Bereich einher. Diese müssen durch eine intensivere Vernetzung mit bestehenden öffentlichen Forschungseinrichtungen abgemildert werden. Neben der Hochschule Zittau/Görlitz existieren im Landkreis das IHI Zittau (zentrale wissenschaftliche Einrichtung der TU Dresden), zwei Fraunhofer-Zweigstellen (jeweils Außenstellen Dresdner Institute) sowie das Interdisziplinäre Zentrum für ökologischen und revitalisierenden Stadtumbau [Zweigstelle des Leibniz-Instituts für ökologische Raumplanung (IÖR) Dresden]. Eine intensivere Zusammenarbeit mit der regionalen Fachhochschule bietet darüber hinaus auch Möglichkeiten, die Fachkräftebindung vor Ort zu steigern. Weitere Potenziale bietet der Forschungsstandort Dresden, der mit der TU Dresden, der HTW Dresden sowie neun Fraunhofer-Einrichtungen, einem Fraunhofer-Center und weiteren grundfinanzierten Einrichtungen wie bspw. dem Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf und dem Leibniz-Institut für Polymerforschung über eine der höchsten Forschungsintensitäten europaweit verfügt. So betragen in der NUTS-2-Region Dresden, zu der auch der Landkreis Görlitz zählt, die FuE-Aufwendungen im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt über 4%, was die Werte Berlins oder Hamburgs übertrifft und auch deutlich über dem europäischen FuE-Intensitätsziel von 3% liegt 83 . Ein weiteres großes Risiko für die bestehenden Wirtschaftsstrukturen stellt die Europäische Klimapolitik mit der avisierten Dekarbonisierung der Wirtschaft dar, was sich vor Ort insbesondere im geplanten Braunkohleausstieg bis 2038 manifestiert. Vorliegende Studien gehen von bis zu 26.000 Arbeitsplätzen aus, die direkt und indirekt von einem Ende der Braunkohleverstromung in der Lausitz betroffen wären 84 . Bedrohlich über die Arbeitsplatzverluste hinaus ist vor allem der hohe An- 82 Vgl. Arnold et al. (2016) und Dengler & Matthes (2015). 83 Vgl. Eurostat (2018): European Region Yearbook 2018, http://ec.europa.eu/eurostat/statistical-atlas/gis/viewer/?mids=BKGCNT,C08M01,CNTOVL&o=1,1,0.7&ch=C02,SCT,C08¢er=49.2263,14.74363,4&lcis=C08M01& 84 Vgl. Prognos (2011), ifo (2014) und RWI (2018). 29

Jugend / Bildung

Zeit(ung) für Kinder

Strategie / Planung